Ein sehr interessanter Artikel erschien im Oktober im Stern:
Wie viel Chemie steckt im deutschesten Nahrungsmittel überhaupt – dem Brot?
Bert Gamerschlag berichtet darin sehr anschaulich davon, dass in der deutschen Nahrungsmittelindustrie allein bei Mehlprodukten bis zu 200 Zusatzstoffe beigemischt werden dürfen.
Zwar zählt „unser täglich Brot“ in Deutschland auf Grund seiner Vielfalt und Einzigartigkeit als immaterielles Weltkulturerbe – sogar von der Unesco anerkannt – doch es ist längst nicht mehr so rein, wie uns Glaube gemacht wird.
Vor hundert Jahren gab es noch deutliche Unterschiede in den verschiedenen Mehlarten, jede Mühle mahlte anders, jede Region hatte ihr eigenes Brot.
Damals gab es noch kleine Mühlen und Bäckereien. Diese sind heutzutage bei gleichbleibender Größe des Betriebs rechnerisch kaum noch tragbar, berichtet ein Bäcker. Das ist neben der Bequemlichkeit der Endkunden ein Grund, weshalb mittlerweile Discounter Ketten wie Lidl zu Deutschlands größten Bäckern werden konnten. Die Bäckereien der Discounter sind so ausgerichtet, dass sie 24/ 7 backen können und somit täglich bis zu neun Fracht-Jumbojets mit ihren Produkten voll beladen könnten.
Riesige Mühlen vermahlen Unmengen an weltweit herangeschifften Weizens zu Mehlen. Ziel ist eine Gleichheit, die ausdrücklicher Wunsch der Bäcker ist, um die Verarbeitungsprozesse zu vereinfachen und jegliche Risiken auszuschließen. Die vermeintliche Brotvielfalt ist daher oft nur Schein.
Der Direktor und Professor des Bundesforschungsinstitus für Sicherheit und Qualität bei Getreide, Norbert Haase, erklärt: Der Geschmack eines Brotes früher rührte von dem Boden auf dem es wuchs, den verarbeitenden Mühlen und des Mehls der verarbeitenden lokalen Backstube nach traditionellem Rezept her. Heute gibt es dazu Backmischungen.
Eine EU-Verordnung erlaubt 320 Lebensmittelzusatzstoffe, die für den Kunden nur sehr schwer, wenn überhaupt, zu erkennen sind. 200 davon werden auch in Bäckereien verwendet: Quellmehle, Quellstärken, Hydrokolloid, Emulgatoren, Weizenkleber, Malzmehle, Zuckerstoffe, Phosphate, Enzyme, Ascorbin- und weitere Säurungsmittel, Milch- und Molkepulver und viele mehr.
Schon in der Mühle wird mit Mehlbehandlungsmitteln, wie Ascorbinsäure, Natrium-L-Ascorbat, Calcium-L-Ascorbat, Lecithin, Guakernmehl, Mono- und Diglyceriden von Speisefetten und andere vielsilbige Substanzen gearbeitet. Hersteller nennen diese Mischungen auch: „Kompositionen, die den Bäckern helfen sollen, eine gleichbleibend hohe Qualität zu liefern.“ Mehl selbst würde dabei als reines Naturprodukt zu hohen Schwankungen ausgesetzt sein. Die Laborabhängigkeit durch all diese Zusätze ist bisher nur in Insiderkreisen bekannt.
Auch die Frage der Gluten-Allergie stellt sich. Nur knapp bei einem Prozent der deutschen Bevölkerung wurde eine echte Zöliakie diagnostiziert. Zusätzliche 13 Prozent haben allerdings durch den Verzehr von Weizenprodukten Probleme, wie Blähungen, Durchfall oder Kopfschmerzen.
Die einen ziehen die Weizenzüchter zur Verantwortung, da diese seit Ende des zweiten Weltkriegs neue eiweißreiche Weizensorten aus Amerika einkreuzen. Andere beschuldigen die Müller, die den Weizen so sehr zermalmen, dass ihm synthetische Stoffe beigemengt werden müssen, damit er überhaupt verarbeitet werden kann. Dass aber die einzelnen Zusatzstoffe, einzeln und in Kombination, ein potentielles Risiko darstellen, das will noch niemand so recht wahr haben; sie wurden bisher in der Branche nicht untersucht.
Die Backmischungen reichen von 30 Gramm eines Mittelchens aufs Kilo Mehl – für einen gewissen Charakter, bis zum „Hundertprozenter“ dem bis zum fertigen Brot nur noch Hefe und Wasser beigefügt werden müssen bevor es verknetet wird.
Der Endverbraucher weiß wenig um Produktionsumstände und Konkurrenzdruck, meist will er es auch gar nicht wissen. Es interessieren Preis und Praktikabilität.
Je mehr Zeit die Mehlstärke hat, Wasser aufzunehmen, desto mehr Zeit hat sie auch die Feuchtigkeit später wieder abzugeben. Das Brot bleibt damit länger frisch. Backt man das Brot allerdings für irgendwann, so zum Beispiel bei den Discountern und Aufback-Bäckereien in Supermärkten, muss es gegen das Austrocknen verpackt werden undzusätzlich gegen Schimmel begast werden. In der Industrie wird meist nur halb durchgebacken. Durch Schockfrostung und ohne Zeit können die mehleigenen Enzyme nicht arbeiten, also die komplex-neutrale Mehlstärke zu süßlichen Einfachzuckern umbauen. Darf diese Arbeit allerdings stattfinden werden keine Zusätze, wie andere Enzyme oder Zucker, zur Bräunung beim Backen benötigt. Diese „fremden“ Enzyme dienen dabei als eine Art Wecker, die die Frostung überleben und die Backwaren beim zweiten Backen zu neuem Leben erwachen lassen können.
Im Englischen heißen diese „Backmittel“ sehr passend „bread improvers“ – Brotverbesserer. Sie werden im großen Stil, ähnlich der Pharmaindustrie, durch Außendienstmitarbeiter und Verkaufsservice, vertrieben. Keinerlei Gesetz verpflichtet dabei zur klaren Kennzeichnung der Treibstoffmischungen. Hierzu muss der Kunde das „Zusatzmittel Büchlein“ der einzelnen Bäckereien anfordern.
Darin tauchen ganz offen Enzymeauf. Wahrscheinlich weiß nicht einmal der Backmittelhersteller wie viele und welche das sind, denn er kauft sie auch nur zu. Die Anmischung und Produktion geschieht wieder durch Spezialfirmen, meist aus der Chemiebranche – so wie Evonik, Bayer, Dupont, Novozymes, Mühlenchemie bei Hamburg.
Enzyme als natürliche Bioaktivstoffe sind in allem lebenden enthalten und zählen zu den Proteinen. Katalytisch wirkend reichen schon kleinst Mengen zur Wirkungsentfaltung. Selbst ihre Anwesenheit genügt schon.
Da sie jedoch nach der Hitze des Backvorgangs als „tot“ gelten, haben Lobbygruppen es durchsetzen können, dass sie als inaktiv gelten – es wird so getan als hätte es sie nie gegeben. Das Problem hierbei ist, dass viele Menschen schon auf die Proteinhüllen reagieren. Diese können also immer noch zu Unverträglichkeitsreaktionen führen.
Schon grundlegenste Rohstoffe sind schon von der Mühle „enzymatisch vorbehandelt“, da sie, laut Technikern, sonst wegen der fehlenden Stabilität und Elastizität auf den computergesteuerten Backstrassen nicht ohne zu verkleben verarbeitet werden könnten.
Bäcker, die noch ohne Backtriebmittel arbeiten sind heut zu tage rar geworden. Aber es gibt sie noch, die Traditionalisten. Die, die noch mit den grundlegenden Naturprodukten Wasser, Mehl, Sauerteig und Hefe arbeiten. Und manche, die auch noch wissen, was genau in ihrem Brot enthalten ist.
Falls Sie Fragen zu Lebensmitteln, ihren Inhaltsstoffen oder auch zum bewussten Einkaufen haben stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
– Gamerschlag, Bert. „Brot.“ Stern, 12. Oktober 2017, S. 26 – 37.